Der sehnlich erwartete Kita-Neubau war fast fertig, als er im Mai 2022 in Brand geriet. Beim Eintreffen der Feuerwehr hatten die Flammen bereits das Obergeschoss des zweistöckigen Holzbaus erfasst. Es entwickelte sich einer der längsten Löscheinsätze in der jüngeren Geschichte Nürnbergs. Er endete nach vier Tagen mit dem Abbruch des Gebäudes mit 250 Plätzen. Sachschaden: zwölf Millionen Euro. Glück im Unglück: Kinder waren nicht im Haus, weil der Innenausbau noch lief.
Ein vermeidbarer Totalverlust, meint Branddirektor Björn Maiworm von der Feuerwehr München. Entscheidend sei der Verzicht auf zentrale Schutzmaßnahmen gewesen. Die bundesweit geltende Muster-Holzbau-Richtlinie (MHolzBauRL) erlaubt sichtbares Holz auf maximal 25 Prozent der Wandflächen oder nur an der Raumdecke.
Vielen Holzgebäuden sieht man ihren Baustoff kaum an, da er innen mit nichtbrennbaren Gipskartonplatten verkleidet wird. Doch die Bauherren der Kita legten Wert auf die Holzoptik in Treppenraum und Fluren und beantragten eine Abweichung von den Vorgaben.
Mehr Sichtholz führe jedoch zu einer „rasanteren Brandausbreitung“, sagt Maiworm, der die Feuerwehr in der Projektgruppe MHolzBauRL vertritt. Der Physiker kritisiert Branchenvertreter, die im Brandschutz ein Hemmnis für den Holzbau sehen und Vorgaben wie die Begrenzung des Sichtholzanteils abbauen möchten.
Maiworm ist für den Holzbau, weil er an die „Notwendigkeit einer nachhaltigen Bauwirtschaft“ glaubt. Allerdings müsse auch der Brandschutz garantiert sein. Wichtig seien „robuste Beplankungen“ für Holzwände, etwa aus Gips. Das gelte erst recht für mehrgeschossige Holzgebäude, aus denen viele Menschen über Treppenhäuser in Sicherheit gelangen müssen.
Holzhäuser bis zur Hochhausgrenze sind inzwischen in allen Bundesländern erlaubt, mehr als 13 Meter allerdings bisher nur in Massivbauweise. Viele Städte planen Großquartiere aus Holz. Noch ist unklar, nach welchen Regeln die Gebäude errichtet werden, denn die MHolzBauRL wird aktuell überarbeitet und die Länder setzen diese nicht einheitlich um.
Im Vorfeld der Revision kritisierte der Deutsche Holzwirtschaftsrat „akute Hemmnisse für den Holzbau“. „Übersteigerte brandschutztechnische Vorgaben“ würden den mehrgeschossigen Wohnungsbau hemmen. Die Lobbyisten schlagen eine „Verminderung der Kapselung“ vor. Im Klartext: Weniger Gipsplatten, mehr Sichtholz. Ein weiterer Vorschlag: „Die Verwendung biogener Dämmstoffe“.
Dämmstoffe aus nachwachsenden Rohstoffen (Nawaro), etwa aus Holzweichfasern oder Zellulose, sind jedoch brennbar. Die Diskussion dreht sich um die Frage, ob brennbare Dämmstoffe auch in Hohlräumen konstruktiver Bauteile eingesetzt werden dürfen. Denn die Industrie setzt auf die Holztafel- bzw. Holzrahmenbauweise, bei der vorgefertigte Wand- und Deckenelemente mit Dämmstoffen in Hohlräumen zum Einsatz kommen.
Für die Feuerwehren hat diese Detailfrage hohe Priorität, schließlich soll die Holztafelbauweise künftig sogar bis zur Hochhausgrenze zulässig sein. Forscher und Feuerwehrexperten wiesen im Verbundprojekt TIMpuls nach, dass Bauwerke aus Holz in Sachen Brandschutz durchaus mit Mauerwerk, Stahlbeton oder Stahlleichtbau mithalten können – allerdings nur unter Ausschluss brennbarer Dämmstoffe in Hohlräumen. So sieht es auch der aktuelle Entwurf der neuen MHolzBauRL vor.
Doch Baden-Württemberg, das sich als „Vorbild im klimafreundlichen Bauen mit Holz“ sieht, geht eigene Wege: Dort ist nicht nur mehr Sichtholz erlaubt, sondern auch der Einsatz brennbarer Dämmstoffe in tragenden Bauteilen von Mehrfamilienhäusern der Gebäudeklasse 4, also bis 13 Meter Höhe. So hat es das Ministerium für Landesentwicklung und Wohnen Anfang 2023 in der Verwaltungsvorschrift Technische Baubestimmungen (VwV TB) geregelt – entgegen der MHolzBauRL und gegen den Rat der Feuerwehren.
Freuen können sich darüber die Hersteller der Nawaro-Dämmstoffe, die bisher vor allem in Dachstühlen und an Einfamilienhäusern zum Einsatz kommen. Zufall oder nicht: Die meisten der im „Verband Dämmstoffe aus nachwachsenden Rohstoffen“ organisierten Hersteller haben ihren Firmensitz in Baden-Württemberg.
Die Neuregelung hält Maiworm für „fast schon grob fahrlässig“. Sollte diese Bauweise im mehrgeschossigen Bau zur Regel werden, befürchtet der Branddirektor viele Todesfälle und den „Vollverlust von Gebäuden in nicht wenigen Fällen“. Schon heute führten Brände mit Holzfaserdämmstoffen immer wieder zu langwierigen Dachstuhlbränden.
Filmreif war der Brand der Aufstockung auf einem Hamburger Bunker 2017. Mehr als 100 Einsatzkräfte waren angerückt, um das Einfamilienhaus in 18 Metern Höhe zu löschen. Was sich weit schwieriger als gedacht gestaltete, denn der Brandherd ließ sich nicht lokalisieren. Später stellte sich heraus: Das Feuer hatte sich tief in die 40 Zentimeter dicke Holzfaser-Dämmung gefressen und lief in der Außenwand um das Penthouse.
Den Einsatz, der die Hamburger Berufsfeuerwehr tagelang in Atem hielt, hat Brandrat Alexander Wellisch analysiert: „Immer wieder musste die Holzfassade von außen mit Kettensägen geöffnet werden, um die Holzfaserdämmung rauszuziehen und abzulöschen“. Das ging, weil das Gebäude auf einem stabilen Betonbunker stand. Ein mehrstöckiges Holzhaus hätte einstürzen und dabei das Leben der Helfer gefährden können. Doch auch so blieb vom Penthouse nur ein großer Schutthaufen vor dem Bunker übrig.
Der außergewöhnliche Brand war Anlass für das Forschungsprojekt Hobratec, in dem die Hamburger Feuerwehr gemeinsam mit Hochschul-Partnern Löschtechniken für Holzgebäude erforscht. Zentrale Erkenntnis: Eine Entzündung der Dämmstoffe in Hohlräumen ist von außen nicht erkennbar: „Nicht mal mit der Wärmebildkamera“, sagt Wellisch. Sicher detektieren lasse sich das nur durch großflächige Bauteilöffnungen, was wiederum die Statik des Gebäudes gefährden könne. Trete die Feuerwehr hingegen zögerlich auf, sei zu befürchten, „dass Glimmbrände unentdeckt bleiben, mit unübersehbaren Folgen.“
Glimmen bezeichnet unvollständige Verbrennung bei knapper Sauerstoffzufuhr. Holz bildet dabei Kohlenmonoxid (CO): Farb-, geruch- und geschmacklos, aber tödlich. Bei hoher CO-Konzentration kommt es nach wenigen Atemzügen zu unspezifischen Symptomen, wie Kopfschmerzen und Schwindel, die Betroffene kaum einordnen können – sie werden bewusstlos und sterben.
Allein in Deutschland kommt es jährlich zu tausenden Vergiftungen und circa 500 Toten. Fachleute gehen von einer hohen Dunkelziffer aus. Es trifft Menschen mit Holzkaminen, Pelletlagern, Gasthermen oder Leichtsinnige, die einen Grill mit noch glühender Holzkohle in die Wohnung stellen.
Kaum bekannt ist, dass auch Nawaro-Dämmstoffe zur CO-Quelle werden können, denn sie neigen zum kontinuierlichen Glimmen. „Ein erhebliches Risiko“ durch glimmende Dämmstoffe sieht der Landes-Arbeitskreis Vorbeugender Brand- und Gefahrenschutz der Feuerwehren in Baden-Württemberg. In seiner Stellungnahme zur Neuregelung kritisiert er den Alleingang des Landes und rät von der Verwendung im mehrgeschossigen Wohnungsbau „dringend ab“.
Doch die Zuständigen schieben die Warnungen der eigenen Experten beiseite: „Diese Bedenken teilen das Innenministerium und das Ministerium für Landesentwicklung und Wohnen (MLW) nicht“, so das MLW auf Anfrage. Das geltende Sicherheitsniveau bleibe erhalten: Unentdeckten Bränden in der Dämmung werde „dadurch vorgebeugt, dass Installationen – insbesondere auch Steckdosen und ihre Zuleitungen – ausschließlich außerhalb der Brandschutzbekleidung geführt werden“. Sollte ein Brand in die Dämmung einlaufen, würde dieser „von den vorgeschriebenen Rauchwarnmeldern entdeckt“.
Dem widerspricht Maiworm und nennt eine mögliche Gefährdungslage: „Stellen Sie sich einen Küchenbrand vor. Die Feuerwehr löscht Küche ab. Sie beziehen ein Hotelzimmer. Ihre Nachbarn sind nicht betroffen und bleiben in ihren Wohnungen. Über die Metallschraube für die Aufhängung des Oberschrankes ist die Hitze durch die Gipsfaserplatten in den brennbaren Dämmstoff geleitet worden. Dort beginnt das sehr langsame, aber CO-intensive Glimmen.“ Das zeige kein Rauchmelder an, sagt Maiworm.
Die möglichen Folgen illustrieren Untersuchungen der CO-Diffusion am Institut für Brand- und Katastrophenschutz Heyrothsberge. Fazit: „Es konnte festgestellt werden, dass das toxische Gas CO in der Lage ist, durch alle untersuchten Baustoffe zu permeieren.“ Im Klartext: Das Giftgas wandert mühelos durch Wände aus Beton, Ziegel, Gips und Holz.
„Die bisher unbeteiligten Nachbarn werden am Tag nach dem Brand tot in ihrer Wohnung aufgefunden“, führt Maiworm das Szenario zu Ende. In einem solchen Fall mit mehreren Toten rechnet er damit, „dass Staatsanwaltschaften nicht die Errichter der Gebäude oder sogar den Verordnungsgeber im Bauministerium, sondern die Feuerwehren in den ermittelnden Blick nehmen werden“.
Der Gesetzgeber kennt das Problem der CO-Diffusion, meint aber, Personenschäden könne nach Brandereignissen durch Messungen vorgebeugt werden. „Dabei sollte man sich nicht auf die unmittelbar angrenzenden Nutzungseinheiten beschränken“, rät das MLW Baden-Württemberg.
Solche Messungen würden Tage dauern, sagt Maiworm. Und das Glimmen nehme oft erst lange nach dem Ende des eigentlichen Feuers Fahrt auf. Nicht zuletzt sei auch das Löschen glimmender Dämmstoffe eine langwierige Angelegenheit, weil diese gegen Feuchtigkeit imprägniert werden. „Sie können die Dämmstoffe unter Wasser brennend lagern und am nächsten Tag nach dem Aufschneiden es weiterbrennen sehen.“ Tagelange Einsätze werden aber mehr Personal erfordern, prognostiziert Maiworm.
Für mehr Feuerwehrleute sieht das zuständige Innenministerium von Baden-Württemberg und das MLW keinen Bedarf: Allenfalls brauche es bei Holzbauten „mehr Löschwasser für die Brandbekämpfung“. Die ausreichende Bereitstellung werde daher „intensiv begleitet“.